10.06.2025

Status quo: Warum die Einordnung von Sturzschwere so schwierig ist 

Stürze sind ein zentraler Indikator für Pflegequalität – und trotzdem gibt es international keine einheitliche Sprache, wenn es darum geht, die Schwere eines Sturzes zu klassifizieren. Das macht den Vergleich von Pflegedaten und -ergebnissen über Ländergrenzen hinweg schwierig. Ein international etablierter Standard stammt ursprünglich von der Joint Commission, einer US-amerikanischen Akkreditierungsorganisation. Die von ihr entwickelte Klassifikation für „falls with injury“ wird heute von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Teil ihrer International Classification for Patient Safety empfohlen¹. In Deutschland spielt außerdem das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) eine zentrale Rolle. Es hat mit dem Expertenstandard zur Sturzprophylaxe ein fundiertes Instrument entwickelt, das sich zwar an internationalen Standards orientiert, jedoch keine explizite Zuordnung von Sturzschweregraden enthält². Das Problem: Lokale Systeme wie das deutsche Sturzprotokoll unterscheiden sich erheblich in Struktur und Begrifflichkeit von internationalen Ansätzen. Die direkte Vergleichbarkeit – etwa zwischen einer Charité-Station und einer Klinik in den USA – bleibt dadurch eingeschränkt.  

Wie wir das gelöst haben: Ein praxisnahes Instrument für die Pflege 

Im Rahmen der Studie KIP-SDM (KI in der Pflege – Sturz, Delir, Medikation) verwenden wir ein standardisiertes Erhebungsinstrument, die eine vergleichbare Einschätzung der Sturzschwere auf Stationsebene erlaubt. Das Instrument ist eine Kombination aus Fragebogen und Checkliste, die sich an der Klassifikation der Joint Commission orientieren, aber speziell für den Pflegealltag angepasst wurden. Dabei unterscheiden wir z. B. zwischen: Sturz ohne Verletzung Sturz mit leichten Verletzungen (z. B. Hautabschürfung) Sturz mit schweren Verletzungen (z. B. Fraktur, intrakranielle Blutung) Anders als die Joint Commission klassifizieren wir auch Pflegeverläufe nach dem Sturz – etwa, ob ein diagnostisches Verfahren (Röntgen, CT etc.) notwendig war. Damit entsteht ein umfassenderes Bild der pflegerischen Relevanz des Ereignisses.  

Was heißt das konkret auf Station? 

Ein Sturzprotokoll wird in der Regel von Pflegefachpersonen ausgefüllt, die ärztliche Diagnose erfolgt anschließend auf Basis weiterer klinischer Befunde. Die Einschätzung, ob ein Sturz zu einer relevanten Verletzung geführt hat, beginnt jedoch häufig mit der pflegerischen Beobachtung und Dokumentation. Die Pflege kann – durch gezielte Erhebung und strukturierte Einschätzung – frühzeitig Hinweise auf mögliche Verletzungen geben und damit die ärztliche Diagnostik unterstützen. Ziel ist es, im Rahmen eines multiprofessionellen Vorgehens eine fundierte Einordnung der Sturzschwere zu ermöglichen. Standardisierte pflegerische Dokumentation bildet dafür die Grundlage – und kann so dazu beitragen, ein realistischeres Bild davon zu gewinnen, wie häufig und wie schwer Stürze tatsächlich sind. 

Was hat das mit KI zu tun? 

Im Projekt KIP-SDM arbeiten wir daran, diese Daten maschinell auswertbar zu machen. Das bedeutet konkret: Pflegeprotokolle werden strukturiert erfasst (z. B. über Checkboxen statt Freitext). Die Einschätzungen zur Sturzschwere können durch KI-Systeme analysiert werden. KI ersetzt nicht die klinische Entscheidung – aber sie kann helfen, Muster zu erkennen, Risiken frühzeitig zu identifizieren und die Pflegequalität systematisch zu verbessern.  

Fazit: Ein kleiner Schritt für die Station – ein großer Schritt für die Pflegequalität 

Die Einordnung von Sturzschwere klingt vielleicht nach einem Detail. Doch sie ist ein Schlüssel zur messbaren und vergleichbaren Pflegequalität. Wenn wir international mitreden wollen, brauchen wir eine gemeinsame Sprache – und die beginnt mit einer gemeinsam genutzten Klassifikation.  

Quellen: 

WHO (2009): 
Conceptual Framework for the International Classification for Patient Safety https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/70882/WHO_IER_PSP_2010.2_eng.pdf (letzter Besuch 11.04.2025, 17:21) 

DNQP (2021): Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege – 2. Aktualisierung https://www.dnqp.de/fileadmin/HSOS/Homepages/DNQP/Dateien/Expertenstandards/Sturzprophylaxe_in_der_Pflege/Sturz_2Akt_Auszug.pdf (letzter Besuch: 11.04.2025, 17:22)  

Joint Commission (2024): National Patient Safety Goals https://www.jointcommission.org/standards/national-patient-safety-goals/ (letzter Besuch: 11.04.2025, 17:23)  

Stephan, H.; Allmer, F. et al. (2000): Praxis der Pflegediagnosen, Springer Verlag https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-09799-0 (letzter Besuch 11.04.2025, 17:23)  

Thieme (2023): Pflegediagnostik & Patientenklassifikation in: PflegeZeitschrift Spezial https://www.thieme.de/de/pflegezeitschrift/pflegezeitschrift-spezial-2023-123456.htm (letzter Besuch 11.04.2025, 17:24) 

Institut für medizinische Informatik

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